Überlebenskampf auf dem Bodensee
Berufsfischer suchen neue Wege
Roland Stohr aus Wasserburg in Bayern
Es wird noch eine Weile dauern, bis die Sonne über die Pfänderspitze geklettert ist, doch langsam beginnt die Morgendämmerung. Roland Stohr schlüpft in seine Fischerhosen, steigt in sein Boot am Wasserburger Hafen und wirft den Motor an.
Dass sein Arbeitstag gegen 6 Uhr in der Früh beginnt und die Woche 60, manchmal auch 70 Arbeitsstunden hat, macht ihm nichts aus. Auf dem See ist er frei: „Hier bin ich im Einklang mit der Natur.“
Seit 40 Jahren fährt er aufs Wasser. Er hat Sonnenaufgänge gesehen, die waren so schön, dass sie ihm den Atem raubten. An stürmischen Tagen knallten die Wellen mit voller Wucht gegen sein Boot. Heute liegt Saharastaub in der Luft. Und die Frage „Was ist im Netz?“
Das Brotfisch-Verbot
Felchen werden es nicht sein - oder wenn, dann nur als Beifang. Von ihrem einstigen „Brotfisch“ fangen die Bodenseefischer schon seit Jahren immer weniger. 2022 waren es nur noch gut 21 Tonnen Felchen. Zum Vergleich: 2010 waren es noch mehr als 600 Tonnen. Vergangenes Jahr hat die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) beschlossen, dass Felchen am Obersee in den nächsten drei Jahren nicht mehr gefangen werden dürfen. Die Bestände sollen sich wieder erholen.
Stohr, der der Vorsitzende der Genossenschaft der bayerischen Bodenseefischer ist, glaubt, dass das keine nachhaltige Strategie ist. Seiner Ansicht nach muss vor allem der Lebensraum der Felchen verbessert werden. „Biomasse kann nur entstehen, wo Nahrung ist“, sagt der 59-Jährige. Doch die modernen Kläranlagen filterten „unnötig viel“ Phosphat aus dem See. „Die Felchen leiden Hunger.“
Dass sich am niedrigen Phosphatgehalt des Bodensees noch einmal etwas ändert, ist unwahrscheinlich, weil das phosphatarme Wasser im Trinkwasserspeicher Bodensee von der Politik gewollt ist und auch Wissenschaftler einen Anstieg des Nährstoffes kritisch sehen. Sie fürchten, dass dies die Wasserqualität in tieferen Schichten gefährden würde. Ihre Begründung: mehr Phosphat, mehr Algen, weniger Sauerstoff. Zum Problem würde das vor allem deswegen, weil steigende Luft- und Wassertemperaturen den Austausch zwischen den Wasserschichten im See zunehmend träger machen.
Roland Stohr ist an diesem Morgen fast allein auf dem See. Weit hinaus fährt er nicht. In der Schonzeit sind freitreibende Netze auf dem hohen See verboten. Die Netze liegen jetzt hauptsächlich in Ufernähe, wo das Wasser niedriger ist. Gefangen werden dort Hechte, Barsche, Zander, Welse, Seeforellen - und Rotaugen. Diese Fische wurden früher als Ausschuss behandelt, erzählt Stohr. „Weil es genügend Felchen gab und Rotaugen schwieriger zu verarbeiten sind.“ Mittlerweile werden sie am bayerischen Teil des Bodensees offensiv vermarktet.
Sperrzonen durch Seethermie?
Doch in Ufernähe droht schon der nächste Konflikt: Viele Kommunen am Bodensee planen, mit Seewasser zu heizen. Die Fischer fürchten, dass dann Sperrzonen entstehen, in denen sie nicht fischen dürfen. Schon jetzt teilen sie sich den Uferbereich mit Tretbootfahrern, Wassersportlern - und Kormoranen auf Beutefang.
Anfang der 1980er-Jahre lebten laut Stohr rund 200 Familien nur von der Fischerei am Bodensee, heute seien es noch 53, teils im Nebenerwerb. „Früher gab es im See ein Überangebot an Fisch, da gab es Konkurrenz bei der Vermarktung.“ Davon ist heute keine Rede mehr. Sinkende Erträge und zuletzt das Felchenfangverbot haben die Fischer näher zusammenrücken lassen.
Berufsfischer & Obstbauer Reto Leuch aus Landschlacht (CH):
Auf den Obstbau statt aufs Fischen fokussiert
Nur ein paar Kilometer Luftlinie entfernt am Schweizer Ufer steht Reto Leuch in seiner Apfelbaumplantage. „Früher war die Fischerei unsere Nummer eins, heute ist es der Obstbau“, sagt er. Er ist Berufsfischer, Präsident des Schweizer Berufsfischerverbands und Landwirt. In Landschlacht bei Kreuzlingen führt er gemeinsam mit seiner Frau Barbara seit 25 Jahren den Betrieb mit eigenem Fischladen.
„Als man gesehen hat, in welche Richtung es mit der Fischerei geht, haben wir uns auf den Obstbau fokussiert“, sagt Leuch. Auf 8,5 Hektar produziert er Äpfel in biologischem Anbau. Nicht als Notlösung, „der Obstbau lag mir schon immer am Herzen“.
Leuch führt den Betrieb in dritter Generation, sein erwachsener Sohn ist bei ihm angestellt und macht die Ausbildung zum Berufsfischer. Ihm haben die Eltern geraten, zuerst einen anderen Beruf zu erlernen. „Allein von der Fischerei kann man nicht leben und das wird sich in Zukunft wohl auch nicht ändern“, sagt Leuch.
Bereits sein Großvater war Fischer, betrieb Obstbau und hielt Kühe. Heute ist die Situation am Bodensee eine andere: Der See ist nicht nur nährstoffarmer geworden, auch invasive Arten wie der Stichling und die Quaggamuschel, die eigentlich nicht in den See gehören, sowie der fischfressende Kormoran beeinflussen, wie viele Fische es im See gibt.
Davon sind alle Fischer rund um den Bodensee betroffen. Bereits vor vier Jahren haben Berufsfischerinnen und Berufsfischer den Verein Bodenseefisch gegründet, um die Fischerei am Bodensee international zu fördern. „Not schweißt bekanntlich zusammen.“
Das Felchenfangverbot haben Deutschland, Österreich und die Schweiz gemeinsam beschlossen. Beim Thema Kormoran gibt es noch keine einheitlichen Regelungen. Der Vogel holt jährlich 300 Tonnen Egli und andere Fische aus dem Bodensee. Während der Kormoran in Vorarlberg unter bestimmten Bedingungen am Bodensee gejagt werden darf und in Baden-Württemberg jährlich 2000 dieser Vögel erlegt werden, wird er am Schweizer Seeufer wenig bejagt.
Unter dem Felchenfangverbot an sich würden die Fischer nicht so stark leiden, sagt Leuch. Allerdings hätten die Leute das Gefühl, es gebe nun gar keine Bodenseefische mehr zu kaufen. „Das stimmt natürlich nicht.“
Autorin: Judith Schönenberger
Anita Koops und Charly Liebsch aus Fischbach
Lange Schlangen am Verkaufsstand in Fischbach
So ist der Verkaufstermin donnerstags um 17 Uhr beim Fischbacher Hafen in Friedrichshafen Kult. Auch wenn viele Menschen sich noch geräucherte Felchen erinnern, so haben sie sich längst mit Saibling, Forelle, Hecht und Karpfen arrangiert. Die Kunden warten auf den Moment, in dem Charly Liebsch und Anita Koops die Räucheröfen öffnen.
„Wir stellen uns schon lange auf andere Fischarten ein, die zwar sehr schmackhaft sind, aber wirtschaftlich nicht so interessant waren“, sagt Anita Koops, die auch Sprecherin der württembergischen Berufsfischer ist. Das liegt an der längeren Verarbeitungszeit der Fische und an der Preisgestaltung.
Für Hecht oder Karpfen müsse man die Menschen erst begeistern, die geräucherten Saiblinge und Forellen, die zum Teil aus der Zucht zugekauft werden, kommen schon sehr gut an. Dabei ist gerade der Wildkarpfen aus dem See ganz und gar nicht mit einem Teichkarpfen zu vergleichen. Sein Fleisch ist tiefrot und der Geschmack, ob geräuchert oder als Frischfisch, überzeugt auch hier in Fischbach immer mehr Menschen.
Eine solche Kultstätte wie sie Koops und Liebsch aufgebaut haben, gibt es nicht an jedem Ort, an dem Fischer sich Gedanken um neue Formen der Vermarktung machen müssen. „Manche haben ganz aufgehört, andere sind in einem Alter, da steht bald der Ruhestand an, und die meisten haben einen anderen zusätzlichen Job“, sagt Anita Koops.
Keine einfache Zeit. Und wie es weitergeht, wenn das Felchenfangverbot endet, steht noch nicht fest. „Wenn sich die Rahmenbedingungen auch bei den Problemen Stichling, Kormoran und Quaggamuschel nicht ändern, wird sich die Lage nicht sonderlich verbessern“, sagt Anita Koops.
Die Fischer werden neue Ideen entwickeln müssen. „Die einen handeln nur noch mit Fisch, andere schauen sich wie die Kollegen in Bayern einfach nach anderen Fischarten um“, sagt Anita Koops, während ihr Partner Charly Liebsch die Türen der Räucheröfen öffnet, und die ersten Kunden bedient, die bereits warten.
Autor: Ralf Schäfer
Vier Fränze und die Magie des Fischens
Dieser 13-Jährige will Fischer werden - allen Widrigkeiten zum Trotz
Im österreichischen Fußach sitzen drei Männer mit dem Namen Franz Blum an einem Tisch. Sie sind 82, 43 und 13 Jahre alt. Drei Männer, eine Bestimmung: das Fischen als Broterwerb. Mit dem vierten, dem eigentlich ersten, fing vor knapp 100 Jahren alles an. „Mein Vater stammte aus einer Landwirtschaftsfamilie mit vier Brüdern. Er wurde Fischer“, sagt Franz senior.
„Natürlich war der Ertrag mal besser, mal schlechter. Aber in Summe waren das konstante Jahre“, erzählt der 82-Jährige. An dieser guten alten Zeit durfte auch Franz der Mittlere noch schnuppern. Nie habe auch er nur im Geringsten daran gedacht, etwas anderes zu werden als Fischer. 2005 übernahm er den Betrieb vom Vater ganz offiziell. Von den heutigen Problemen mit Kormoran, Nährstoffarmut, Stichling und anderem will er jetzt nicht reden.
Franz eins bis drei sind stolz aufeinander. Und stolz, dass alle Fischer sind oder werden wollen. „Ich kann schon fast alles“, sagt der Jüngste. Er wird bald die Unterstufe abschließen. Dann möchte er auf die Landwirtschaftsschule. Doch all das sollen nur Zwischenstationen sein auf dem Weg zu seiner Bestimmung: Fischer Franz Blum der Vierte zu werden. Allen Widrigkeiten zum Trotz.
Autor: Klaus Hämmerle
Das war ein kurzer Einblick in die Serie "Wem gehört der Bodensee?". Dieser Artikel erschien erstmals in der Schwäbischen Zeitung. Er hat euch gefallen und ihr möchtet mehr über interessante Themen erfahren, die den Bodensee bewegen? Dann lest hier die ganze Serie!