Traditionelle Trachten rund um den Bodensee
Bollenhut, Dirndl und Radhaube

Wer den Bodensee bereist, findet nicht nur atemberaubende Natur in all ihrer Vielfalt, sondern auch ein breites Kulturangebot mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten und regionalen Festen. Sie laden dazu ein, das Gewässer, das sich über Deutschland, Österreich und die Schweiz erstreckt, in all seinem Facettenreichtum kennenzulernen.

Traditionelles Brauchtum ist fest mit dem reichhaltigen Kulturangebot rund um den Bodensee verknüpft. Nichts drückt das Gefühl von Heimat und regionaler Identität so farbenprächtig und vielfältig aus wie aktiv gelebte Traditionen und Bräuche. Ein sichtbares Symbol gelebten Brauchtums sind die traditionellen Trachten, die rund um den Bodensee in großer Vielfalt zu finden sind.

Da mit 155 der insgesamt 273 km Uferlänge des Gewässers die größte Fläche auf Baden-Württemberg entfällt, findet sich hier auch die größte Auswahl an Brauchtumsbekleidung. Wie der Trachtenverband Baden-Württemberg informiert, versammelt das Bundesland, das regional besonders eng mit dem Bodensee verbunden ist, 73 Trachtenregionen innerhalb seiner Grenzen. 59 davon sind ursprünglich einheimische Trachtenregionen und die übrigen 14 gehen auf Volksgruppen zurück, die heute mit ihrem Brauchtum und ihren Traditionen in Baden-Württemberg angesiedelt sind.

Die Tracht als äußeres Symbol für Zugehörigkeit und Tradition hat sich erst im 16. Jahrhundert entwickelt. Um die Jahrhundertwende herum war der Wohlstand weit verbreitet und erreichte auch die ländliche Bevölkerung. Mit reichhaltiger und farbenprächtiger Kleidung verlieh man diesem Lebensgefühl Ausdruck. Ursprünglich drückte die unterschiedliche Trachtenmode eine religiöse Zugehörigkeit aus. Im Laufe ihrer Entwicklung verschob sich diese Bedeutung mehr und mehr in Richtung regionales Brauchtum und kulturelle Besonderheiten. Eng verknüpft ist die unterschiedliche Trachtenmode seit jeher auch mit vielfältigen sozialen Aspekten. Einzelne Details drücken beispielsweise bei den meisten Trachten den Familienstand der Trägerin oder des Trägers aus und werden insbesondere für traditionelle Feste sehr bewusst ausgewählt.

Um einen kleinen Einblick in die farbenprächtige und fantasievolle Vielfalt der Trachtenmode rund um den Bodensee zu gewähren, sollen im Folgenden ein paar der bekanntesten und traditionsreichsten Varianten vorgestellt werden.

Der Bollenhut als Wahrzeichen mit Tradition

Der Bollenhut gilt als traditionelles Wahrzeichen des Schwarzwaldes. Die Region unweit des Bodensees zählt zu den beliebtesten Reisegebieten auf deutschem Gebiet. So weit gefasst, wie seine Bekanntheit vermuten lässt, ist der Bollenhut als Trachtenbestandteil allerdings nicht. Nur in drei Gemeinden des im Kinzig- und Gutachtal, nämlich in Gutach, Wolfach-Kirnbach, Hornberg-Reichenbach, gilt die charakteristische Kopfbedeckung als traditionelle Tracht. Der Bollenhut ist ein unverzichtbarer Bestandteil der so genannten Gutachter Tracht. Gutach ist die größte der drei Gemeinden, in denen die Kopfbedeckung zu Hause ist und hat der dazugehörigen Tracht deshalb ihren Namen gegeben.

Es ist noch nicht lange her, dass der Bollenhut ein besonderes Jubiläum feierte. Seht mehr als 222 Jahren wird er von Damen des Schwarzwaldes mit Stolz getragen. Die ersten schriftlichen Vermerke sind bereits 1750 zu finden. Bis heute ist es ein Bestandteil dieser jahrhundertealten Tradition, dass fast alle Elemente des Hutes vor Ort in altbewährter Handarbeit hergestellt werden. Rund eine Woche dauert es, bis ein solches Kunstwerk fertig ist. Die Basis des Bollenhutes bildet ein handgefertigter Strohhut, der mit weißem Gips fest gewirkt wird. Darauf werden insgesamt 14 Wollbollen aufgenäht, die dem Bollenhut seinen Namen geben. Das Material gibt der Kopfbedeckung ein Gesamtgewicht von ungefähr 1,5 Kilogramm. 1 Kilogramm entfällt dabei allein auf die Wolle der Bollen. Unter dem Bollenhut wird eine schwarze Haube getragen, die unter dem Kinn mit ebenfalls schwarzen Bändern befestigt wird.

Bei der traditionellen Kopfbedeckung der Gutachter Tracht ist es die Farbe der Bollen, die eine Aussage über den sozialen Status der Trägerin macht. Die Variante mit roten Bollen wird von jungen Frauen evangelischer Religionszugehörigkeit getragen, und zwar von der Konfirmation bis zur Hochzeit. Nach der Hochzeit tragen die verheirateten Frauen den Bollenhut mit schwarzen Bollen, um ihren neuen Familienstand anzuzeigen. Die Kopfbedeckung ist nur da markantestes Element der Gutachter Tracht. Das gesamte Ensemble hat aber noch viel mehr zu bieten. Die Basis bildet ein schwarzes Kleid mit einem Rock aus Leinen und Wolle mit dem Namen „Wifel“. Darüber wird eine schwarze Seidenschürze getragen und darunter ein dicker Unterrock aus rotem Stoff. Das Oberteil besteht aus schwarzem Samt, der mit bunten Blumen bestickt wird. Unter dem Mieder wird eine weiße Trachtenbluse getragen. Ihre Ärmel sind traditionell in weiten Falten gefasst und am Ende mit Spitze verziert. Über der Oberbekleidung wird ein kurzes Jäckchen aus schwarzer Wolle oder Seide getragen, das mit rotem Stoff gefüttert ist. Ein unverzichtbares Element sind die so genannten „Hasenhärenen“, handgestrickte weiße Strümpfe aus Angorawolle. Dazu gehören flache schwarze Schuhe.

Insgesamt sind im Schwarzwald mehr als 100 verschiedene Trachten beheimatet. Trotzdem ist es vor allem die Gutachter Tracht mit dem charakteristischen Bollenhut, die die Region weit über die Landesgrenzen hinaus berühmt gemacht hat und sogar auf der ganzen Welt als eines der typischen Wahrzeichen deutscher Kultur angesehen wird.

Dirndl und Trachtenhosen bleiben modern

Zu den traditionellen Trachtenoutfits rund um den Bodensee gehört auch das breite Angebot der klassischen Trachtenmode. Dirndl und Lederhosen sind neben den besonderen regionalen Trachten gern getragene Outfits auf vielen traditionellen Volksfesten der Region. Das mag wenig verwundern, erstreckt sich die in Deutschland gelegene Uferregion des Bodensees doch in Baden-Württemberg und Bayern.

Wie vielfältig Trachtenmode um den Bodensee in der Region getragen wird, zeigt sich zum Beispiel beim Deutsch-Schweizer Oktoberfest, das alljährlich in Konstanz ausgerichtet wird. Die typisch bayerische Tracht gilt auch bei jungen Menschen als Must-Have auf der Konstanzer Wiesn und auch in den vergangenen Jahren ist ein Großteil des Publikums zu dem Volksfest der Superlative in traditioneller Kleidung erschienen. Aber auch bei anderen traditionellen Festlichkeiten in der Region um den Bodensee gilt: mit Dirndl und Lederhose ist man immer gut angezogen.

Dabei ist die vor allem in Bayern beheimatete volkstümliche Kleidung von den regionalen Trachten zu unterscheiden. Zwar werden Dirndl und Lederhose im Volksmund als Trachtenmode bezeichnet, das Dirndl unterscheidet sich aber grundlegend von der traditionellen Tracht. Während das Dirndl ein Kleidungsstück für den alltäglichen Gebrauch bezeichnet, werden Trachten nur zu besonderen Anlässen wie kirchlichen Festtagen oder regionalen Traditionsfesten getragen. Dennoch ist auch das Dirndl mit einer sozialen Komponente verknüpft und kann eine Aussage über die Trägerin treffen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Schleife, mit der die Schürze gebunden wird. Aus der Perspektive der Frau betrachtet, deutet die Schleife vorne links gebunden darauf hin, dass die Trägerin ungebunden ist. Vorne rechts gebunden ziert die Schleife die Schürze einer Frau, die sich in festen Händen befindet. Wer die Schleife vorne in der Mitte trägt, zeigt damit die sexuelle Unberührtheit an. Die hinten in der Mitte gebundene Schürze ist Witwen vorbehalten.

Das klassische Dirndl besteht aus einem Kleid und einer Schürze. Typisch ist dabei der rechteckige Ausschnitt des Oberteils, das als verstärktes Mieder geschnürt wird. Darunter trägt Frau typischerweise eine weiße Trachtenbluse aus Baumwolle mit kurzen oder halblangen Puffärmeln, die mit Spitzen oder Rüschen verziert sind. Auch der Halsausschnitt der Bluse, der unter dem Oberteil zu sehen ist, ist in passender Spitze oder Rüschen verziert. Für das Kleid werden meist Baumwolle, Leinen oder Samt verwendet. Die Schürze wird traditionell aus Seide gefertigt und je nachdem, wie prächtig das Dirndl wirken soll, zusätzlich mit Spitzen und Stickereien verziert. Der Rock des Dirndls und die Schürze können kurz, mittellang oder lang ausgewählt werden. Hier sind vor allem Alter und Stand der Trägerin entscheidend. An kühleren Tagen kann eine kurze Trachtenjacke über dem Dirndl getragen werden.

Der Ursprung des Dirndls lässt sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen und geht auf die traditionellen bäuerlichen Trachten insbesondere in Bayern und Österreich zurück.

 

Die Überlinger Tracht

Die Überlinger Tracht ist ein weiteres Festtagsgewand, das bis heute mit Stolz getragen wird. Um das Jahr 1850 herum galt diese Tracht als traditionelles Sonntagsgewand der Damen aus der Region. Auch bei besonderen kirchlichen Feiertagen wie Ostern, Pfingsten und am Erntedankfest kam die traditionelle Gewandung zum Tragen.

Herzstück dieser Tracht sind die besonderen becherförmigen Hauben, die in traditioneller Handarbeit aus gold- oder silberfarbener Spitze gefertigt werden. Am Hinterkopf ziert die Haube eine große schwarze Stoffschleife. Wie heute bekannt ist, sind die Hauben der Überlinger Tracht die Vorgänger der berühmten Radhauben, die heute zu den bekanntesten Trachtenelementen am Bodensee gehören.

Zur Überlinger Tracht gehört ein langes, tailliertes Kleid aus Seide mit langen Ärmeln. Der Schnitt ist der Mode des Biedermeier nachempfunden. Darüber werden ein gewebtes oder aus Seide gefertigtes Schultertuch mit Fransen und eine einfarbige Schürze getragen. Als Accessoires sind ein Rosmarinzweig im Ausschnitt der Trägerin und Schmuck aus rotem Granat unverzichtbar.

Die Überlinger Tracht hatte zwischenzeitlich an Bedeutung verloren, und wurde erst 1924 anlässlich der Weihe des Überlinger Münster St. Nikolaus wieder in die Öffentlichkeit zurückgeholt. Heute halten Trachtenvereine die kostbare und kunstvolle Tracht lebendig.

 

Die Reichenauer Tracht und die berühmte Radhaube

Die Radhaube, die traditionelle Kopfbedeckung der Reichenauer Tracht, zählt zu den bekanntesten Trachtenelementen rund um den Bodensee. Die breite, sich wie ein Rad ausbreitende Haube aus gestärkter schwarzer Spitze hat eine lange Tradition und soll aus den Becherhauben der Überlinger Tracht entstanden sein. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Gewandung als Festtagstracht in verschiedenen Bildzeugnissen wiederzufinden.

Ähnlich wie die Überlinger Tracht besteht auch die Reichenauer Tracht aus einem langen taillierten Kleid, über dem ein Schultertuch in Dreiecksfaltung und eine Schürze getragen werden. Beide Accessoires sind aus reiner Seide gefertigt.

Die Radhaube hat nicht nur in der Reichenauer Tracht Einzug gehalten. Als goldene Variante wird sie auch in anderen Regionen rund um den Bodensee getragen, so zum Beispiel in Konstanz, Allensbach und Radolfzell. Die schwarzen Radhauben werden in Bodenseenähe außerhalb Deutschlands getragen, zum Beispiel in Liechtenstein, Vorarlberg und in einigen Schweizer Regionen.